Mehrfachauslegung

Mehrfachauslegung bezeichnet die Situation, in der ein Text – typischerweise Gesetze, Rechtsnormen, Vertragsklauseln oder andere Rechtsinstrumente – mehrdeutig ist und mehrere plausible Lesarten zulässt. Ursache ist häufig eine unklare Formulierung, fehlende Bezüge, Mehrdeutigkeit von Begriffen oder ein Kontext, der unterschiedliche Deutungen ermöglicht. In Recht und Linguistik tritt Mehrfachauslegung auf, wenn der Wortlaut, der systematische Zusammenhang oder der Sinnzusammenhang nicht eindeutig festgelegt ist.

Die Folge kann Rechtsunsicherheit, unterschiedliche Anwendungen und Streitigkeiten vor Gericht sein. Um Klarheit zu schaffen, wenden Juristen verschiedene Auslegungskriterien an, wie Wortlaut, Zweck (teleologische oder purposive Auslegung), systematische Einbindung, historische oder redaktionelle Absicht sowie gleichwertige Rechtsgrundsätze. Ergänzende Hilfsmittel sind Auslegungskanon, Kontextbezug, Handels- oder Branchenpraxis. Ziel ist es, diejenige Lesart zu ermitteln, die am besten mit dem Zweck des Rechtsakts übereinstimmt.

In der Praxis kann Mehrfachauslegung durch Klärung im Gesetzestext, vertragliche Nachträge oder gerichtliche Entscheidung beseitigt werden. Ein einfaches Beispiel ist eine Zahlungsfrist von „innerhalb von 30 Tagen“, die je nach Kontext als Kalendertage oder Werktage verstanden werden kann. In vielen Rechtsordnungen wird bevorzugt die Interpretation gewählt, die dem wirtschaftlichen oder rechtspolitischen Zweck des Instruments am besten dient.

Abgrenzung: Mehrfachauslegung ist der Prozess der Auswahl unter mehreren plausiblen Deutungen; sie unterscheidet sich von einer bloßen Mehrdeutigkeit, die ebenfalls zu mehreren Lesarten führen kann, aber noch keine verbindliche Entscheidung darstellt.