Vorverformungen

Vorverformungen bezeichnet in der Materialwissenschaft Deformationen, die einem Werkstoff bereits vor einer vorgesehenen weiteren Belastung oder Nutzung widerfahren sind. Sie entstehen während Herstellprozessen wie Walzen, Strangpressen, Ziehen oder Biegen, können aber auch durch bisherige Betriebslasten auftreten. Vorverformungen führen zu einer erhöhten Versetzungsdichte und zu richtungsabhängigen Mikrostrukturen (Textur), wodurch sich mechanische Eigenschaften verändern.

Die wichtigsten Auswirkungen umfassen eine Zunahme der Festigkeit durch Kaltverformung (Work hardening) sowie eine Verminderung der Duktilität. Gleichzeitig können Restspannungen im Bauteil entstehen, die nach Entlastung zu Formänderungen oder Verzug führen. Je nach Art und Verteilung der Vorverformung wirkt sich die Materialantwort anisotrop aus; in der Praxis beeinflusst dies Umformbarkeit, Maßhaltigkeit und Bauteilverhalten bei weiterer Verformung.

Man unterscheidet vorverformte Proben in statische (monotone) und zyklische Vorverformung sowie in homogene und inhomogene Deformationen. Die Messung von Vorverformungen erfolgt durch Techniken wie Röntgen- oder Neutronen-Diffraction zur Bestimmung von Restspannungen, EBSD zur Mikrostrukturanalyse oder durch mechanische Tests. In der Simulation unterstützen Vorverformungen initiale Randbedingungen in Finite-Elemente-Modellen.

In der Praxis ist das Verständnis von Vorverformungen wichtig für die Gestaltung von Umformprozessen, Formänderungen und Bauteildesign. Ziel ist oft, gewählte Eigenschaften wie Festigkeit zu erhöhen, ohne die Formbarkeit übermäßig zu beeinträchtigen, oder Restspannungen zu kontrollieren, um Verzug zu minimieren.