Orientierungsverteilungen

Orientierungsverteilungen bezeichnen in der Materialwissenschaft die statistische Verteilung der Kristallorientierungen in einem polykristallinen Material oder einer Probe mit vielen Körnern. Sie fassen die Orientierung der einzelnen Kristalle in einer Funktion zusammen, die oft als Orientierungverteilungsfunktion (ODF, orientation distribution function) bezeichnet wird. Die Orientierung eines Kristalls wird formal durch eine Orientierungsgröße g beschrieben, die ein Element der Rotationsgruppe SO(3) ist; praktisch verwendet man oft Eulerwinkel (phi1, Phi, phi2) zur Parameterisierung.

Die ODF f(g) gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass ein zufällig gewähltes Korn eine Orientierung g besitzt. Sie ist normiert, sodass das Integral über ganz SO(3) gleich 1 ist. In der Praxis wird f häufig diskret angenähert, z. B. als Histogramm oder durch eine Harmonische-Reihe (Spherical Harmonics bzw. Wigner-Funktionen) dargestellt. Visualisierung erfolgt oft über Polfiguren, inverse Polfiguren oder Texturuntersuchungen.

Typische Texturen oder Orientierungsverteilungen entstehen durch plastische Verformung, Wärmebehandlung oder Legierungszusätze. Beispiele sind Fiber-Texturen (gerichtete Körner entlang einer Primärrichtung) oder Cube-Texturen (Bevorzugung bestimmter Gitterrichtungen). Orientierungsverteilungen lassen sich aus Messungen ableiten, etwa durch Röntgen-Diffraktion, Elektronen-Backscatter-Diffraction (EBSD) oder Neutronenstreuung.

Anwendungen der Orientierungsverteilungen umfassen die Vorhersage anisotroper Materialeigenschaften (Mechanik, Diffusion, Elektrizität, Optik) und die Modellierung von Werkstoffprozessen. Die Ermittlung und Interpretation von Texturen ist zentral für das Verständnis der makroskopischen Eigenschaften polykristalliner Materialien.